In „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ hat Yuval Noah Harari erklärt, wie die Menschen zu den Herren des Planeten Erde aufsteigen konnten. In „Homo Deus“ erforscht er unsere Zukunft. Das Buch verbindet Naturwissenschaft, Geschichte, Philosophie und verwandte Disziplinen, um eine Vision der Zukunft zu entwerfen. Diese mag auf den ersten Blick unglaublich wirken, erscheint aber schnell unausweichlich: Die Menschheit wird schon bald nicht nur ihre Dominanz verlieren. Auch der Begriff Menschheit selbst wird seine Bedeutung einbüßen. Und wir sollten unsere Hoffnungen nicht auf den Widerstand setzen – während in unseren bevorzugten Science-Fiction-Geschichten Menschen im Namen von Freiheit und Individualismus gegen Maschinen kämpfen, werden diese menschlichen Mythen in der Realität dann längst ebenso obsolet geworden sein wie Kassettenrekorder oder Regentänze. Dies mag alarmierend klingen, aber Veränderungen sind immer beängstigend.
Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat die Menschheit das Unmögliche geschafft und Hunger, Seuchen und Krieg gezähmt. Heute gehen mehr Menschen an Fettleibigkeit zugrunde als verhungern; mehr Menschen sterben an Altersschwäche als an ansteckenden Krankheiten und mehr Menschen begehen Selbstmord als im Krieg getötet werden. Wir sind die einzige Spezies in der langen Geschichte der Erde, die mit eigener Kraft den gesamten Planeten verändert hat. Und wir erwarten heute nicht mehr, dass irgendein höheres Wesen unser Schicksal für uns bestimmt.
Erfolg weckt Begierden, und daher wird die Menschheit als Nächstes nach Unsterblichkeit, Glückseligkeit und göttlicher Schöpfungskraft greifen. Doch das Streben nach diesen Zielen wird die meisten Menschen in letzter Konsequenz überflüssig machen. Was aber fangen wir mit dieser Erkenntnis an? Zunächst einmal ermöglicht sie uns, die Entscheidungen der Gegenwart mit offenen Augen für ihre Konsequenzen zu treffen. Wir können den Lauf der Geschichte nicht aufhalten, aber wir können seine Richtung beeinflussen.
Vorhersagen nehmen für gewöhnlich an, dass die Zukunft in ihrem Kern so sein wird wie die Gegenwart – wir werden erstaunliche neue Technologien besitzen, aber die alten humanistischen Werte wie Freiheit und Gleichheit werden uns immer noch leiten. „Homo Deus“ hinterfragt diese Annahmen und öffnet unsere Augen für die Vielfalt an alternativen Möglichkeiten. Auf jeder Seite liefert es provokante Argumente:
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Nach vier Milliarden Jahren organischen Lebens beginnt nun die Ära des anorganischen Lebens.
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Die wichtigsten Produkte des 21. Jahrhunderts werden nicht Textilien, Autos und Waffen sein, sondern Körper, Gehirne und Bewusstseinszustände.
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Während die industrielle Revolution die Arbeiterklasse schuf, wird die nächste große Revolution eine Klasse der Nutzlosen schaffen.
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Die Art und Weise, wie wir mit den Tieren umgegangen sind, ist ein guter Anhaltspunkt dafür, wie upgegradete Menschen den Rest von uns behandeln werden.
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Der radikale Islam mag Rückzugsgefechte führen, aber die wirklich mächtigen Religionen werden eher im Silicon Valley entstehen als im Nahen Osten.
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Die Demokratie und der freie Markt werden zusammenbrechen, sobald Google und Facebook uns besser kennen als wir selbst und die Macht von einzelnen Menschen auf Netzwerke von Algorithmen übergeht.
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Für unsere Gesundheit werden wir unsere Privatsphäre freiwillig aufgeben.
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Die Menschen werden nicht gegen die Maschinen kämpfen, sie werden mit ihnen verschmelzen. Wir steuern auf eine Hochzeit zu, nicht auf einen Krieg.
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Die meisten von uns werden nicht darüber entscheiden können, wie die Technologie unser Leben beeinflusst, weil die meisten von uns sie nicht verstehen (hat irgendjemand von uns darüber abgestimmt, wie das Internet funktioniert?).
Dies sind die Umrisse der neuen Welt und der Graben zwischen denen, die dazu gehören, und denen, die zurückbleiben, wird größer sein als der zwischen industriellen Imperien und Landwirtschaft betreibenden Stämmen, größer sogar als der zwischen Homo Sapiens und dem Neandertaler. Dies ist die nächste Stufe der Evolution. Dies ist „Homo Deus“.
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