Buchinterview: Göttlicher Funke 2.0

Yuval Harari: Die großen Debatten unserer Zeit

„21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ heißt das neue Buch Yuval Hararis nach den Erfolgswerken „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „Homo Deus“. Während der Star-Autor bisher die Vergangenheit der Menschheit aufarbeitete, versucht er nun Antworten auf drängende Zukunftsfragen zu geben. Auch uns.

Die Schöpfung des Adam: In der biblischen Erzählung schuf Gott den Menschen nach seinem Abbild. Im 21. Jahrhundert tritt der Mensch an, ihm mit Künstlicher Intelligenz und Algorithmen nachzueifern.
Die Schöpfung des Adam:
In der biblischen Erzählung schuf Gott den Menschen nach seinem Abbild. Im 21. Jahrhundert tritt der Mensch an, ihm mit Künstlicher Intelligenz und Algorithmen nachzueifern (Foto: picture alliance/chromorange)

Yuval Harari schlägt in seinem neuen Buch ­Brücken von den Anfängen der Religion bis zur Jetztzeit: „Wenn tausend Menschen einen Monat lang an eine erfundene Geschichte glauben, dann sind das Fake News. Wenn eine Milliarde Menschen daran tausend Jahre glaubt, dann ist es Religion“, schreibt er. Der Historiker hat das Talent, auch komplexe Zu­sammenhänge so aufzubereiten, dass sie den Leser anregen, Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, zugleich aber auch einen kritischen Blick in die Zukunft zu werfen. Er bringt das Zeitgeschehen in einen Kontext, erklärt, schlussfolgert. Und er gibt dem Leser das Rüstzeug, um sich im bevorstehenden – vielleicht spannendsten – Kapitel der Menschheit zurechtzufinden.

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Neben der technologischen und politischen Herausforderung schreiben Sie über die Wichtigkeit von Resilienz, also geistiger Stabilität in Zeiten steten Wandels. Wie können Menschen diese Fähigkeit besser erlernen?

Yuval Harari: Traditionell wurde das Leben in zwei Hauptteile geteilt: eine Zeit des Lernens, gefolgt von einer Zeit der Arbeit. Im ersten Teil des Lebens hast du eine stabile Identität aufgebaut und persönliche und berufliche Fähigkeiten erworben; im zweiten Teil des Lebens hast du dich auf deine bestehende Identität und deine Fähigkeiten verlassen, um die Welt zu erkunden, deinen Lebensunterhalt zu verdienen und zur Gesellschaft beizutragen. Bis 2050 wird dieses traditionelle Modell veraltet sein, und die einzige Möglichkeit für den Menschen, im Spiel zu bleiben, besteht darin, sein Leben lang zu lernen und sich immer wieder neu zu erfinden. Das wird zu immensen psychologischen Schwierigkeiten führen. Veränderung ist immer stressig, und sich mit 40 Jahren neu zu erfinden, könnte für viele Menschen zu viel sein. Selbst wenn du es schaffst, es erfolgreich zu tun - wirst du es mit 50 wieder tun? Und noch einmal mit 60? Daher ist das Wichtigste, was wir Kindern beibringen müssen, wie man seine Persönlichkeit und Identität so aufbaut, dass man zukünftige Veränderungen begrüßen sollte als sich ihrer zu erwehren. In der Vergangenheit baute die Bildung menschliche Identitäten wie Steinhäuser - mit tiefen Fundamenten und festen Mauern. Jetzt müssen wir menschliche Identitäten wie Zelte aufbauen, die man leicht zusammenfalten und bewegen kann. Es gibt viele potenzielle Methoden, die helfen können, flexiblere Identitäten aufzubauen. Ich persönlich praktiziere die Vipassana-Meditation, die sich darauf konzentriert, die Unbeständigkeit aller Phänomene zu erkennen und die Notwendigkeit, die unvermeidliche Veränderung zu akzeptieren. Ich meditiere jeden Tag zwei Stunden und gehe jedes Jahr zu einem langen Retreat von 30 oder 60 Tagen. Aber es gibt Hunderte von anderen Meditationstechniken da draußen, und viele andere Methoden, die sich auf Therapie, Kunst und sogar Sport stützen. Verschiedene Methoden könnten für verschiedene Menschen besser funktionieren. Doch egal welche Methode wir anwenden, es ist wichtig, dies schnell zu tun, denn wir haben nicht mehr viel Zeit.

Wer viele Daten besitzt, hat schon heute einen Wettbewerbsvorteil. Braucht der einzelne Mensch die Macht über seine Daten um zukunftsfähig zu sein?

Harari: Wenn zu viele der Daten von der Regierung oder einigen wenigen Unternehmen kontrolliert werden, wird das zu digitalen Diktaturen führen. Es wird heutzutage viel über das Hacken von Computern gesprochen, aber eigentlich treten wir in die Ära des Hackens von Menschen ein. Um Menschen zu hacken, braucht man zwei Dinge. Erstens: ein gutes Verständnis der Biologie. Zweitens: eine Menge Daten und Rechenleistung. Das Problem ist allerdings, dass wir kein Modell zur Regelung des Eigentums an Daten haben. Wir verfügen zwar über Tausende von Jahren an Erfahrung in der Regelung des Eigentums von Grundstücken und über jahrhundertelange Erfahrung in der Regelung des Eigentums an Maschinen. Aber wir wissen nicht, wie wir den Datenbesitz regeln sollen. Das ist eine sehr große Herausforderung für Ingenieure, Juristen und Philosophen.

Hararis kritischer Blick in die Zukunft

Yuval Noah Harari: wurde 1976 in Haifa/Israel, geboren. Er promovierte 2002 an der Oxford University. Aktuell lehrt er Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Weltgeschichte.
Yuval Noah Harari:
wurde 1976 in Haifa/Israel, geboren. Er promovierte 2002 an der Oxford University. Aktuell lehrt er Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Weltgeschichte (Foto: Olivier Middendorp)

Sie sprechen sowohl von der menschlichen Weisheit, die etliche Errungenschaften hervorgebracht hat, als auch von der zentralen Rolle menschlicher Dummheit. Warum fällt es uns so schwer, fatale Fehleinschätzungen zu vermeiden?

Harari: Das Hauptproblem ist die Kluft zwischen unserer Macht und unserer Weisheit – zwischen unserer Macht, Systeme zu manipulieren, und der Weisheit, die benötigt wird, um diese Systeme tief zu verstehen. Leider ist es viel einfacher zu manipulieren, als zu verstehen. Im 21. Jahrhundert werden wir lernen, nicht nur die Welt außerhalb von uns zu manipulieren, sondern auch die Welt in uns. Wir werden lernen, wie wir unseren Körper neugestalten und unsere Emotionen, Gedanken und Empfindungen manipulieren können. Aber weil wir die Komplexität unseres inneren Mentalsystems nicht verstehen, könnten wir diese Macht missbrauchen. Wir könnten unser mentales System aus dem Gleichgewicht bringen und einem inneren Zusammenbruch ausgesetzt sein.

Ihre These: Maschinen können viel effizienter entscheiden, als der Mensch. Das Gefährliche daran: Politische Wahlen könnten somit obsolet werden. Wie gefährlich kann die Macht der Algorithmen für die Demokratie werden?

Harari: Sehr gefährlich. Im 20. Jahrhundert besiegte die Demokratie die Diktatur, weil die Demokratie besser in der Datenverarbeitung und Entscheidungsfindung war. Der Konflikt zwischen Demokratie und Diktatur war nicht nur einer zwischen verschiedenen ethischen Systemen, sondern auch einer zwischen verschiedenen Methoden der Datenverarbeitung und Entscheidungsfindung. Die Demokratie verteilt Informationen und die Entscheidungsbefugnis an viele Menschen und Institutionen, während die Diktatur Informationen und Macht an einem Ort bündelt. KI ermöglicht es, enorme Mengen an Informationen zentral zu verarbeiten. Sie könnte zentralisierte Systeme effizienter machen als diffuse Systeme. Folglich könnte das Haupthindernis autoritärer Regime im 20. Jahrhundert – der Versuch, alle Informationen an einem Ort zu bündeln – im 21. Jahrhundert zu ihrem entscheidenden Vorteil werden.

Sie rufen die Menschen auf, ihre Zukunft rund um die Digitalisierung aktiv zu gestalten und dies nicht den Algorithmen zu überlassen. Was wird der Mensch immer besser als der Algorithmus können?

Harari: Wenn es um praktische Aufgaben auf dem Arbeitsmarkt geht, kennen wir keine, die der Mensch immer besser machen kann. Aber auf einer tieferen Ebene ist es wahrscheinlich, dass sich der Computer immer wesentlich vom Menschen unterscheiden wird. Insbesondere werden Computer möglicherweise nie ein Bewusstsein erlangen. Viele Menschen neigen dazu, Intelligenz mit Bewusstsein zu verwechseln, und gehen davon aus, dass Computer mit zunehmender Intelligenz unweigerlich ein Bewusstsein entwickeln werden. Aber in Wirklichkeit könnten Computer viel intelligenter werden als Menschen, ohne jemals Bewusstsein zu erlangen, denn Intelligenz und Bewusstsein sind sehr unterschiedliche Dinge. Intelligenz ist die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Bewusstsein ist die Fähigkeit, Dinge wie Schmerz, Freude, Liebe und Wut zu spüren.

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